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Lebensstürme wehen durchs Kurtheater

Chopins dritte Klaviersonate wirkt wie die Quintessenz seines kompositorischen Schaffens. Der erste Satz fasst alle Irrungen und Wirrungen eines Lebens zusammen. Turbulente Ereignisse wechseln sich mit erhabenen Momenten ab. Im Scherzo huscht der Geist der Genialität durch den Raum und umschließt die Ruhe im Zentrum des Sturms, ehe der dritte Satz in epischer Länge das Paradies ausbreitet, das es zu erreichen gilt. Man glaubt, alle irdischen Bürden hinter sich gelassen zu haben und sich auf dem Weg in die Ewigkeit zu befinden, bis einem der letzte Satz bedeutet, dass man noch einige Stürme zu bewältigen hat. Mit großer Geste richtet Chopin noch einmal ein monumentales Lebensgebäude auf. Und der junge Pianist Leon Wenzel lässt diese Seelengemälde in einer unvergleichlichen Reife vor unseren geistigen Augen entstehen. Technisch über alle Anforderungen erhaben gelingt ihm eine packende Interpretation dieses Meisterwerks und entlässt ein tief bewegtes Publikum in den noch immer lauen Herbstabend. Zuvor hatte er den Zuhörern noch ein Tröstung von Liszt als Zugabe mit auf den Heimweg gegeben.

 

 

Begonnen hatte dieser beeindruckende Klavierabend mit zwei frühen Zyklen. Die Mazurkas op. 6 und die Nocturnes op. 9 zeigen schon in Chopins allerersten Anfängen, was diesen singulären Komponisten ausmacht. Das tiefempfundene Heimatgefühl, das alle Mazurkas ausstrahlen und Chopin durch sein ganzes Leben begleitet und die Tiefe der Nocturnes, die mehr sind als schwärmerische Nachtgesänge. Sie sind immer kleine Erzählungen, die Empfindungen aus der Tiefe der Seele hervorlocken. Leon Wenzel weiß auch mit diesen Miniaturen geschickt umzugehen. Lässt Melancholie und verschmitzten Humor gleichermaßen heraus scheinen und wie Edelsteine aufblitzen. Als Abschluss der ersten Konzerthälfte die erste der vier Balladen. Diese einmaligen Solitäre sollen durch diejenigen des polnischen Dichters Adam Mickiewicz inspiriert worden sein, obwohl man vergeblich nach inhaltlichen Parallelen sucht. Chopins Balladen sind alles andere als Programmmusik. Die  Dramatik ist in ihrer Art musikalisch einmalig, und sie haben in Bezug auf Form und Ausdruckskraft bis heute keine auch nur annähernde Nachfolge gefunden. Leon Wenzel wurde dieser Einmaligkeit in jeder Weise gerecht. Der andauernde Applaus bezeugte dies in eindeutiger Weise. 

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